Abstract zu Heft 5:

Interviewliteratur zum Leben in der DDR

Autor: Hans-Joachim Schröder

November 1995

Materialien und Ergebnisse aus Forschungsprojekten des Instituts

Vorbemerkung

Die Erforschung der Geschichte und Sozialwirklichkeit der DDR ist mit der Wiedervereinigung nicht, wie manche meinen, überflüssig geworden, sondern sie kann erst jetzt und muß auch in vollem Umfang einsetzen, da die unterschiedlichen Sozialisationen in Ost und West einander nur angeglichen werden können, wenn von den jeweiligen Vergangenheiten beider Teile Deutschlands ein genaues Wissen vorliegt. In der DDR konnten auf Grund der Restriktionen durch das politische System von seiten der Wissenschaften biographische und alltagsweltliche Erfahrungen der breiten Bevölkerung nicht dokumentiert und analysiert werden. Allein im Bereich der Literatur entfaltete sich seit Mitte der siebziger Jahre ein Dokumentarismus, der es erlaubt, Zugang zum Selbstverständnis der DDR-Bevölkerung „an der Basis“ zu gewinnen.

Der vorliegende Beitrag, mit dem erste Ergebnisse aus dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt zum Thema „Qualitative Interviewbefragungen und ‚Interviewliteratur‘ als Spiegel sozialer Entwicklungen in der DDR von den Anfängen bis zur Gegenwart“ vorgelegt werden, verschafft Einblick in ein dokumentarliterarisches Genre, das bisher nirgends näher beschrieben worden ist. Ausgehend von der interdisziplinär ausgerichteten Biographie-, Alltagsgeschichts- und Interviewforschung wird die Gattung Interviewliteratur vor allem aus soziologischer und literaturwissenschaftlicher Sicht eingehend untersucht. Dabei rücken zunächst die „formalen“ Eigenschaften dieser Literatur, d.h. die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen und die Bedingungen der Textgestaltung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Da die Inhalte der Interviewliteratur zur DDR äußerst vielfältig und disparat sind, bietet es sich an, zuallererst die formalen Merkmale des Genres näher zu charakterisieren. In der zusammenfassenden Beschreibung der wichtigsten Werke, die zur Interviewliteratur der DDR gerechnet werden müssen, kommen freilich in Umrissen immer wieder auch die Inhalte dieser Literatur zur Sprache.

Insgesamt kann mit der Kennzeichnung der Interviewliteratur zur DDR exemplarisch gezeigt werden, welche Eigenschaften die Gattung des narrativ-biographischen Interviews aufweist, eine moderne Textsorte, der innerhalb der Wissenschaft, des Journalismus und der Literatur eine außerordentliche Bedeutung zukommt.

Hans-Joachim Schröder