Abstract zu Heft 7:

Eigenständige Räume der bildenden Kunst in der DDR der achtziger Jahre

Autor: Frank Eckart

November 1995

Materialien und Ergebnisse aus Forschungsprojekten des Instituts

Die Mauer trennte nicht nur Territorien und Gesellschaftsordnungen, die Machtblöcke des kalten Krieges, sondern griff tief in Lebensläufe ein und bestimmte Alltagserfahrungen. Für viele Westdeutsche waren die Mauer und der Grenzübergang, die ständige Beobachtung auf der Interzonenstrecke der erste und prägende Eindruck dessen, was die DDR darstellte: eine Diktatur und geschlossene Gesellschaft. Erlebte man die Innenstädte, meist nach dem Behördengang und dem Zwangsumtausch, sah man Tristesse, ruinierte Altbauviertel und trostlose Schaufensterauslagen: eine Mangelgesellschaft. Für die Mehrheit der DDR-Bevölkerung galt die Bundesrepublik Deutschland ihrerseits als beispiellose Erfolgsgeschichte zwischen Konsum und Prosperität. Die Programme der Medienanstalten ZDF und ARD wurden in der DDR empfangen. Wie mußten die Werbespots auf ein Publikum wirken, das nicht die Voraussetzungen lebte, um die gepriesenen Dinge verbrauchen zu können? Die Mauer trennte Lebensläufe und Sozialisationserfahrungen. Sie erschwerte, verhinderte oder normierte Zugänge zu Informationen, Materialien und Waren.

Man könnte zur Kennzeichnung der Situation eine Metapher des Soziologen Karl Mannheim verwenden. Der Gesellschaftsorganismus stellt für ihn eine Landschaft dar, die prinzipiell nur in verschiedenen Perspektiven erfaßbar und erfahrbar ist. Verschiedene Standorte zeigen bestimmte Seiten, Einblicke und Möglichkeiten der Landschaft, ohne daß man sie vollständig erfassen könnte. „Ist aber nicht jedes dieser Bilder eine Erfahrung dieser Landschaft, auch wenn jede ‚Verkürzung‘, eine jede ‚Verschiebung‘ auf den Standort hin orientiert ist, von wo aus man betrachtet?“ 2

Die hier vorgelegte Studie untersucht nicht die DDR-Kunst, sondern einen schmalen Ausschnitt der Kulturentwicklung in der DDR der achtziger Jahre. Sie konzentriert sich auf eine Generation von Künstlern, die in der Mehrzahl zwischen 1955 und 1965 geboren wurden. Im letzten Jahrzehnt der DDR entfaltete diese ihre Wirkung, schuf sich Räume und Institutionen, die neben den staatlich subventionierten und kontrollierten Kulturinstitutionen bestanden.

Dort bildeten sich unterschiedliche Möglichkeiten für die Beteiligten heraus, die man mit folgenden Stichworten kennzeichnen könnte: Sie reichten von der Anpassung an die Hochkultur der DDR, Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland, Nischenexistenz, der Hoffnung auf einen reformierten Sozialismus bis zu dem Aufbau von mannigfachen Beziehungen nach Westeuropa. Damit entstanden widersprüchliche Interpretationen, die diese Produktionen sowohl „jenseits der Staatskultur“ 3 vermuten als auch zu einem Produkt des Ministeriums für Staatssicherheit4 erklären. Andere heben das Entstehen von, wenn auch bescheidenen, Marktmechanismen hervor5, während in weiteren Interpretationen die Gemeinschaft und gemeinschaftliches Produzieren6 als Kennzeichen einer „ästhetischen Ergänzungskultur“ in das Zentrum der Darstellung rücken. Die unterschiedlichen Perspektiven werden in dieser Studie nicht als willkürliche Einschätzungen behandelt, sondern sie konstituieren sich auf Grundlage bestehender Momente in den Produktionsbedingungen, den Resultaten und dem Selbstverständnis der Protagonisten dieser künstlerischen Szenen, wie der verschiedenen Interpreten und ihrer Interessen in Ost und West.

Frank Eckart